Serie CDU-Vorsitz: Klare Vorzeichen im Big Data Blick

Kandidaten auf den CDU Vorsitz

KURZE VORBEMERKUNG NACH DER WAHL: Gut 3,5 Prozent lagen wir mit unserer Prognose daneben. Da es sich hier nicht um eine öffentliche Wahl, sondern um eine parteipolitische Veranstaltung handelte, in der sich u.A. die Kanzlerin direkt auf den letzten Metern positioniert hat, sind wir der Ansicht – das war den Versuch dennoch wert. Wir sind gespannt, wie sich unsere Methode bei “echten” Wahlen bewährt und werden Sie an entsprechenden Testläufen teilhaben lassen.

Das Rennen um den CDU-Parteivorsitz geht in den Endspurt – und bleibt enger, als die meisten Prognosen erwartet hatten. HASE & IGEL hat von Anfang an einen eigenen Ansatz gewählt: statt Umfragen zu Rate zu ziehen, untersuchen wir auf Basis aller legal zugänglicher Daten, worüber Menschen in journalistischen und sozialen Medien sprechen, wie sie dort auf Beiträge reagieren (beides ermittelt mit dem Monitoring-Tool Talkwalker), und was sie bei Google suchen (erhoben mit Google Trends).

Wir sind überzeugt: Diese Analysen sind nicht nur deutlich schneller und effizienter als klassische Meinungsforschung – sie sind auch aussagekräftiger. Bei jeder Umfrage erfasst man nur das, was die Menschen auch gegenüber dem Fragenden preisgeben wollen, zudem arbeiten Befragungen immer mit Stichproben, die selbst bei sorgfältiger Kontrolle verzerrt sein können. Ein Big Data Ansatz bietet zwei entscheidende Vorteile:

  • zum Einen fragen wir nicht nach Meinungen, sondern beobachten Kommunikation und Verhalten, die ohne unser Zutun stattfinden. Wo man womöglich bei dem, was man auf Twitter äußert, noch sorgsam abwägt (sofern man nicht US-Präsident ist), ist die Frage, was man bei Google sucht, ob man einen Artikel liest oder nicht und wo man auf “Gefällt mir” klickt, unberührt von der Sorge um den eigenen Ruf – erst Recht, wenn es anonym ist.
  • zum Anderen untersuchen wir keine Stichproben, sondern – zumindest annähernd – die Grundgesamtheit: ALLE Google-Suchen, ALLE öffentlichen Reaktionen auf Beiträge etc. werden erfasst, nicht nur eine handverlesene Gruppe.

So möchten wir der Gefahr der Demoskopen entgehen, jede Brise der öffentlichen Meinung gleich als Sturm wahrzunehmen und so andauernd die Fahne in eine andere Richtung zu hängen… siehe dieses schöne Beispiel:

Mit unserem Ansatz haben wir nach der Analyse der ersten 7 Tage konstatiert, dass das Feld sehr eng zusammenbleiben würde, Merz dabei am ehesten für die großen Ausschläge sorgt – emotional positiv wie negativ -, Spahn stark gegen mangelnde Sympathie ankämpfen muss und die CDU von einem knappen Rennen profitieren wird.

Seitdem teilen wir regelmäßig tiefere Einblicke in einzelne Details und Aspekte, die unsere Einschätzung verfeinern. In unserem letzten Beitrag vor der Wahl blicken wir auf die aktuellen Trends, ziehen eine Blianz – und erkennen eine Tendenz.



Startaufstellung: Themen und Emotionen im Fokus

Vorletzte Woche zogen wir eine Zwischenbilanz:

  • Merz rückt mit seinem Polit-Comeback zuverlässig am stärksten ins Rampenlicht und wird eigenständiger wahrgenommen als seine Wettbewerber. Er hat die anfängliche Sterilität überwunden und kann Menschen emotional bewegen. Der Ausschlag schwankt dabei aber stark zwischen positiv und negativ, da die Debatte primär um seine Privatperson (und den Ruch der “Finanzelite”) kreist. Um sein Potenzial in Erfolg umzumünzen, müsste er erfolgreich eigene politische Themen setzen.
  • Kramp-Karrenbauer ist als heimliche Favoritin ins Rennen gestartet: Beiträge von oder zu ihr aktivierten das Publikum am Besten und erzielten die positivsten Reaktionen – ohne emotionale Achterbahnfahren. Diese Rolle hat sie weitgehend eingebüßt: Seit Wochen verlieren die Menschen sie zunehmend aus den Augen und der Sympathievorsprung ist abgeschmolzen. Dies hängt sicher auch damit zusammen, dass sie außerhalb ihrer Parteifunktion weder als Mensch noch politisch Eindruck hinterließ.
  • Spahn hatte es von Anfang an schwer: kein Kandidat wurde so negativ wahrgenommen wie er. Dennoch gelang es ihm in den letzten Wochen, einen erheblichen Teil der Debatte zu prägen und sich stark in der Aufmerksamkeit zu halten. Obwohl (oder weil?) er dabei auf kontroverse politische Themen setzte, konnte er eine etwas positivere Wahrnehmung erzielen. Ohne ein stabiles Gewinnerthema vermag er jedoch nicht, seine eigene Person positiver aufzuladen, statt lediglich Debatten anzustoßen.
  • Die CDU wird durch den Wettstreit wieder deutlich interessanter: je überraschender und kontroverser die Debatte geführt wird, desto mehr Aufmerksamkeit und Sympathie gewinnt die Partei.


Endspurt: Merz bleibt im Zentrum des Interesses und gewinnt Sympathie

Auf den letzten Metern versucht nun jeder Kandidat umso intensiver, das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden – jedoch nicht immer mit dem gewünschten Effekt.

Über die gesamte Wahlkampagne hinweg ist Friedrich Merz derjenige, der die Aufmerksamkeit der Menschen am Meisten fesselt, während Jens Spahn seinen Vorsprung auf Annegret Kramp-Karrenbauer weiterhin ausgebaut hat und immer wieder punktuell auch gegenüber Merz die Führung übernimmt. 

Kramp-Karrenbauers Versuche, mit Themen wie Migration und Homo-Ehe politische Akzente zu setzen, konnten zu keinem Zeitpunkt gegen den bedeutend größeren Fußabdruck der Wettbewerber durchdringen. Hinterließen Ihre Interventionen in Sachen “Ehe für Alle” insgesamt wenig Eindruck, wurden ihre Einlassungen zur Flüchtlingspolitik primär negativ aufgenommen, während im selben Zeitraum Friedrich Merzs Äußerungen zum Umgang mit der AfD, zum Migrationspakt und zur Wirtschaftslage ebenso wie Jens Spahns Einlassungen zu Pflege und Digitalisierung besser durchdrangen und auf ein insgesamt ausgewogenes Echo stießen.

Zudem kosteten ihre politischen Positionierungen Kramp-Karrenbauer in massivem Ausmaß Sympathie. Nachdem sie mit einem deutlichen Vorsprung an positiver Resonanz gestartet war, konnte sie dieses Niveau nicht halten – nach einem moderaten Sinkflug kippte die Balance der positiven zu den negativen Äußerungen über die Kandidatin seit Mitte November erheblich ins Negative. Seitdem verharrt “AKK” auf dem Niveau des – bis dahin deutlich unterlegenen – Jens Spahn, während Friedrich Merz in der Sympathiewertung die Führung übernommen hat.

Auch vermochte Merz am Stärksten, die Menschen im Netz zu Reaktionen anzuspornen. Gemessen an der deutlich geringeren Aufmerksamkeit, die sie im Kampagnenverlauf erhielt, sticht Kramp-Karrenbauer zwar bei den Engagement-Raten (Reaktionen pro Beitrag) heraus, doch der bessere prozentuale Wert ändert nichts daran, dass sie wesentlich seltener als Spahn – und jener wiederum seltener als Merz – das Feld der “Engagements” (“Gefällt mir”-Angaben, geteilte Beiträge, Kommentare, Zitate, etc.) anführte.



Eine Frage der Geschlechter – aber anders, als man meint: Frauen wenden sich von AKK ab

Gender matters – und überrascht immer wieder: So hat Kramp-Karrenbauer – zu Beginn die weibliche Favoritin – besonders bei den Frauen zuletzt sehr stark an Zuspruch verloren und liegt nun in den öffentlichen Äußerungen weiblicher Nutzer auf dem letzten Platz, während Merz bei den Frauen führt:

Unter Männern hat Kramp-Karrenbauer – zu Beginn mit den wenigsten negativen Emotionen behaftet – die stärkste Polarisierung erzielt: sowohl die meisten positiven als auch die meisten negativen Äußerungen vereint sie auf sich. Der mit der größten emotionalen Hypothek gestartete Spahn geht bei seinen Geschlechtsgenossen mit dem besten Saldo in den Endspurt, während Kramp-Karrenbauer nun gleichauf mit Merz liegt, der – anders als unter Frauen – seine Sympathiewerte nicht ausbauen konnte, jedoch auch weniger Antipathie hervorruft.



Kandidaten im Generationencheck – Spahn bewegt die Jungen am Meisten, Merz mit Vorsprung bei den Älteren

Betrachtet man das Alter derjenigen Menschen, die über die Kandidaten diskutieren, bewegt der Jüngste unter ihnen auch das jüngste Publikum: 60,2 Prozent derjenigen, die sich zu Jens Spahn äußern, sind unter 35. Bei Annegret Kramp-Karrenbauer, die insgesamt die Jungen am Wenigsten anspricht, sind es 53,1 Prozent. Der Älteste, Friedrich Merz, aktiviert auch die ältesten Diskutanten – knapp 18 Prozent sind über 45, bei Jens Spahn, der bei den oberen Alterskohorten am Schwächsten ist, sind es nur etwas über 14 Prozent.Merz gelingt es dabei jedoch, auch unter den Jungen mehr Resonanz zu erzielen als Kramp-Karrenbauer… wenn auch nur knapp. “AKK” hingegen liegt lediglich in der Altersgruppe der 35-44 jährigen knapp vor Merz (und deutlich vor Spahn).

Betrachten wir sowohl die typische CDU-Wählerschaft (Überhang an Älteren) als auch die Parteimitglieder der CDU (Überhang an Älteren und Männern) profitiert hiervon primär Friedrich Merz (Altersstruktur, Sympathiewerte in der CDU-Wählerschaft mit ca. Gleichverteilung Männer und Frauen), gefolgt von Jens Spahn (Sympathiewerte Männer). Kramp-Karrenbauer landet in dieser Klientel in keiner Rubrik vorn, die demografische Struktur der Mitglieder federt aber ihren derzeit schwereren Stand bei Frauen CDU-intern etwas ab. 



Unterm Strich eine Tendenz zu Friedrich Merz

Wir sind uns völlig bewusst: dies ist eine parteiinterne Wahl, die sich folglich nicht primär nach der öffentlichen Meinung oder der Mehrheit in der Gesellschaft richtet. Dennoch gehen wir davon aus, dass die CDU – bei gegebener politischer Eignung und ausreichend Parteikolorit, was keinem der Kandidaten abzusprechen ist – großes Augenmerk darauf legen wird, wer am Ehesten politischen Erfolg in der breiteren Gesellschaft erzielen kann.

Insgesamt lässt sich aus den Daten in dieser Betrachtung eine Tendenz zu Friedrich Merz erkennen:

  • Er vermochte über den gesamten Zeitraum hinweg konstant das meiste Interesse auf sich zu ziehen.
  • Er hat gezeigt, dass er sich von der zwischenzeitlich stark negativen Resonanz erholen kann und – insbesondere unter Frauen – deutlich an Sympathie gewonnen.
  • Er aktiviert unter den Kandidaten am Besten die entscheidenden höheren Jahrgänge.
  • Lange Zeit primär für seine wirtschaftlichen Aktivitäten und privaten Verhältnisse im Fokus, ist es ihm in den letzten Wochen gelungen, erfolgreich politische Debatten zu initiieren.
  • Dabei wird er am Eigenständigsten wahrgenommen – seine Werte sind am Wenigsten mit denen der anderen Bewerber und der Partei korreliert.

Jens Spahn hat auf den letzten Metern eine Aufholjagd geliefert, die Wenige für möglich gehalten hätten und konnte so sein öffentliches Profil, seine Sympathiewerte und seine politische Positionierung deutlich verbessern. Dass er damit gerade unter Männern gut dasteht dürfte aber nicht ausgleichen, dass er bei den Älteren nicht hinreichend ankommt und sich auch insgesamt in der Öffentlichkeit hinter Merz einreihen muss.

Annegret Kramp-Karrenbauer hingegen hat in der Öffentlichkeit den geringsten Fußabdruck hinterlassen, thematisch am wenigsten gepunktet und zudem ihren emotionalen Vorsprung nicht nur eingebüßt, sondern ins Gegenteil verkehrt. Sie vermag nach wie vor, gut zu aktivieren – primär in mittleren Altersgruppen, doch auch unter Älteren – jedoch ohne einen reellen Vorsprung einzufahren.



Die CDU wird durch die Debatte belebt – jedoch nicht durch jene um Migration

Im gesamten Verlauf der Kampagne zeigte sich: das Ringen um die Merkel-Nachfolge belebt die Partei. Je intensiver die Debatte, desto mehr Aufmerksamkeit. Mit Ausnahme der AfD konnte keine Partei das Interesse so stark auf sich ziehen.

Differenzierter ist das Bild jedoch bei der Sympathie, die die Debatte der Partei einbringt: vermochte die CDU bis in die zweite Novemberhälfte hinein erheblich vom Wettbewerb der Kandidaten zu profitieren und ihre emotionale Resonanz zu verbessern, fiel sie in den letzten beiden Wochen deutlich zurück. Zeitlich fällt dies zusammen mit der immer intensiveren Thematisierung der Flüchtlings- und Integrationspolitik durch alle drei Kandidaten. Dieses latente Konfliktthema in einer “größeren öffentlichen Debatte” (Merz) auszutragen, bringt der Partei keine Sympathie ein.



Was Daten verraten – bleiben Sie mit uns dran!

Gespannt blicken wir auf den Ausgang und die damit verbundene Frage: Was lag näher dran – Meinungsumfragen oder Big Data Analysen? HASE & IGEL wird sich auch künftig regelmäßig Themen von öffentlichem Interesse aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik vornehmen und die Big Data Sicht darauf präsentieren um gemeinsam mit Ihnen zu sehen – und zu diskutieren -, was Daten verraten. Wir freuen uns, wenn Sie uns dabei begleiten!

Datengrundlage: Untersucht wurden deutschlandweit vom 27.10.-29.11. sämtliche öffentlichen Beiträge in sozialen und journalistischen (Online-) Medien, die mindestens 5 Engagements erzielt haben, sowie alle Google-Suchen. Zum Einsatz kamen dabei Talkwalker, Google Analytics und die Mangools Tool-Suite.

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