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Fünf Dinge, die wir aus 2020 lernen müssen

Fünf Dinge, die wir aus 2020 lernen müssen

2020 ist denkbar schlecht beleumundet, Viele würden das Jahr am liebsten ganz aus dem Kalender tilgen. Doch während sich an einer Pandemie mit über 1 Million Toten, dramatischen Eingriffen in die Bürgerrechte und Rekordschulden nichts schönreden lässt, lohnt es sich doch, 2020 nicht in den Giftschrank zu verbannen, sondern noch einmal genau anzusehen. Denn die Pandemie und unsere Reaktionen darauf haben uns Dinge vor Augen geführt und Prozesse angestoßen, die wir nicht ignorieren dürfen, wenn (und falls) sich das Leben 2021 stückweise wieder normalisiert. Denn in ihnen stecken Potenziale für eine Zeitenwende – im Guten wie im Schlechten.

Höchst subjektiv und kein bisschen datengetrieben möchte ich die aus meiner Sicht fünf wichtigsten dieser Lektionen herausgreifen:

1. Das Zeitalter der Planung ist endgültig vorbei. Agilität ist Trumpf!

Das durch die Komplexität und Vernetzungsdichte von Weltwirtschaft und Gesellschaft die Planbarkeit sinkt, ist nichts Neues. Im Gegenteil: es ist eines meiner Lieblingsthemen. Doch 2020 haben wir hier einen Erdrutsch erlebt, der sehr klar gemacht hat, in welcher trügerischen Sicherheit wir Jahrzehntelang gelebt haben, in dem wir durchaus bekannte Risiken ausgeblendet und uns so selbst in Berechenbarkeit gewiegt haben.

Dieser Geist ist nun aus der Flasche und wird nicht wieder in sie zurückkehren: ob Unternehmen, Staat oder im Privaten – wirklich Jeder müsste nun verstanden haben, dass es darauf ankommt, mit gutem Radar und maximaler Wendigkeit auf Sicht zu segeln, sich für verschiedene Szenarien zu rüsten und laufend Wahrscheinlichkeiten zu bewerten, statt auf vermeintliche Sicherheiten zu setzen und auf Basis von Vergangenheitswerten Langfristplanungen aufzustellen.

Themen wie Szenariotechniken, datengetriebene Steuerung, Agilität und Resilienz sind von Zukunfts-Hypes und Schlagworten auf Managerseminaren über Nacht zum Survival Kit geworden. Wir müssen den Finger am Puls halten, sehr schnell und treffsicher neue Entwicklungen erkennen und geschmeidig darauf reagieren, um erfolgreich zu bleiben.

2. Wir sind viel flexibler, als wir meinten. Also los!

Was wurde in den letzten 10 Jahren nicht alles diskutiert über die Transformation der Arbeitswelt, die Digitalisierung der Gesellschaft und neue Lebensmodelle. Jeder Tippelschritt – wie die Einführung von Slack in Großkonzernen – wurde bereits frenetisch beklatscht. Geändert hat sich indes wenig, stattdessen haben sich selbsternannte Zukunftsapostel und professionelle Bedenkenträger in den Medien duelliert.

Nun ist binnen eines einzigen Jahres der Paradigmenwechsel passiert. Wir fliegen nicht mehr für 2-Stunden-Meetings von Hamburg nach München, es gibt auch keinen Grund, Eltern eine Präsenzpflicht im Büro aufzuerlegen, selbst Workshops und Kongresse können zur Not digital funktionieren und im Privaten wie im Kulturleben bilden sich neue digitale Kommunikations- und Geschäftsmodelle in Rekordgeschwindigkeit aus. Das alles, obwohl Deutschland bei VDSL und 4G/5G immer noch weit hinterherhängt, die Digitalkompetenz wenig ausgeprägt ist und der Wandel nicht durch eine Armee von Coaches und Beratern instrumentiert wurde.

Geht doch. Wenn es muss. Daraus können wir viel – sehr viel – auch für andere Bereiche lernen, in denen wir uns aus Besitzstandswahrerei und Angst vor Veränderung selbst blockieren.

3. Wir können bei kollektiven Bedrohungen kollektiv handeln. Bewahren wir es uns!

Eigentlich sollte das selbstverständlich sein – doch die letzten mindestens 20 Jahre haben begründete Zweifel aufkommen lassen, wie weit einzelne Länder, die Demokratie und die Menschheit in der Lage sind, auf kollektive Bedrohungen auch entschlossen zu reagieren.

Corona hat gezeigt: geht uns der sprichwörtliche Allerwerteste auf Grundeis, können binnen kürzester Zeit national und international resolute Entscheidungen gefällt und umgesetzt werden, um auf eine Notlage zu reagieren. Und die Welt geht dadurch nicht unter. Entwicklung neuer Impftechnologien und -Stoffe binnen kürzester Zeit? Consider it done – gleich in mehreren Varianten. Abgestimmtes Handeln bei der Regulierung von Menschen- und Warenströmen? Läuft – und zwar ohne allzu große Egoismen. Dramatische Reduzierung von Flügen? Aber sicher – und es bricht zwar eine Branche, jedoch nicht „die Wirtschaft“ zusammen. Harte Einschnitte für Alle? Führen weder zu Aufständen noch zu einer Explosion des Populismus – sofern sie als begründet und fair verteilt empfunden werden.

Das ist eine extrem positive Erfahrung – man kann gar nicht überbetonen, wie viel Hoffnung sie enthält. Nämlich dann, wenn wir das Bewusstsein dieser Handlungsfähigkeit auf weitere, noch bedrohlichere Notlagen übertragen – am vordringlichsten den Klimawandel. Wir müssen lernen, langfristige und abstraktere Gefahren genauso klar zu sehen wie einen neuen Virus! Argumente wie „das bekommen wir nicht abgestimmt“, „das machen die Menschen nicht mit“, „dann geht die Wirtschaft zugrunde“ kann dann keiner mehr ernsthaft anbringen.

4. Die Leichen in unseren Kellern werden zu Zombies. Wir müssen hinsehen!

So positiv die Erkenntnis-, Reaktions- und Handlungsfähigkeit ist, die Corona in uns geweckt hat, zeigt sich gerade in der Krise eine fatale Tendenz noch verstärkt: wir kehren die eigentlichen Probleme unter den Teppich. Damit meine ich nicht einmal, dass wegen Corona niemand mehr über Klima, Infrastruktur, Migration, Wohlstandsschere oder Sozialsysteme spricht. Es ist vielmehr am Umgang mit Corona selbst bereits überdeutlich zu beobachten:

Die höchste Verschuldung der Geschichte wird in Rekordzeit angehäuft – doch wer warnt, gilt als unpatriotisch. Die Generationengerechtigkeit gerät endgültig unter die Räder, aber das Bestehen auf Bildungsteilhabe, Arbeitsmarktchancen für die junge Generation oder die gerechte Verteilung der Corona-Lasten heißt unsolidarisch. Mit Steuergeldern werden Unternehmen am Leben erhalten, die sich auch ohne die Pandemie nicht gehalten hätten – doch dass nun zur Immobilien- und mancher Börsenblase noch Insolvenzblasen hinzukommen, führt nicht zu mehr Rücklagen, sondern zu laxerer Kreditvergabe. Protestbewegungen wachsen und die Compliance mit Corona-Maßnahmen sinkt, doch statt mit mehr Transparenz und neuen Partizipationsmodellen (wie z.B. Bürgerräten) reagiert die Politik mit Verboten, die oft genug von Gerichten als unverhältnismäßig kassiert werden.

Corona hat gezeigt: ignorieren wir ein Risiko zu lange, fliegt es uns um die Ohren. Das gilt auch für diese Themen – diskutieren wir sie nicht sehr zügig offen und gesamtgesellschaftlich und finden tragfähige, faire Lösungen, wird es irgendwann gewaltig knallen. Wer klug ist, baut nicht auf das Prinzip Hoffnung, sondern sorgt auch für dieses Szenario vor.

5. Wir müssen Markt und Demokratie verteidigen. Nicht nur gegen Extremisten!

Große Krisen waren immer auch große Prüfungen für freiheitliche Systeme. Oft haben sie ihnen nicht standgehalten. Wer sich heute umhört, findet mit einigem Grauen überall aus der Mitte der Gesellschaft erschreckend laute Rufe nach einer starken Hand.

Ob im Umgang mit Impfgegnern und Corona-Kritikern, in Fragen der Bürgerrechte (wie z.B. Versammlungs- und Bewegungsfreiheit) oder beim Einhalten parlamentarischer Abstimmungswege: es hat sich eine Ungeduld entwickelt mit demokratischen Standards und eine fatale Lust an radikalen Maßnahmen. Endlich hart durchgreifen statt lange diskutieren. So gilt nicht nur die alte Regel, dass Einschränkungen schneller verhängt als gelockert werden. Auch bleibt der Staat klare Kriterien für diese Einschränkungen und Rechenschaft über die Wirksamkeit seiner Maßnahmen schuldig. Doch das stört die Meisten nicht – im Gegenteil: es finden sich derzeit schnell Mehrheiten dafür, härter durchzugreifen, als es das Grundgesetz erlaubt. Zugleich positionieren die sichtbaren Früchte staatlicher Programme zur Produktion und Beschaffung von Beatmungsgeräten, Masken und Impfstoffen die öffentliche Hand als Lösung für die Probleme des Marktes – kaum ein Wirtschaftszweig, in den sich der Staat aktuell nicht einmischt. Man muss kein Neoliberaler sein, um zu konstatieren, dass das bisher auf lange Sicht selten gut ging – der Staat kann notwendiger Krisen-Lotse sein, er ist aber mit Sicherheit nicht der bessere Unternehmer.

Wer Wert auf seine Freiheiten legt, sollte 2021 sehr wachsam sein – und, wo nötig, laut. Und das eben nicht mehr nur gegenüber Fanatikern vom rechten und linken Rand.

Ich wünsche Ihnen ein gelingendes, inspirierendes und erfolgreiches neues Jahr. Bleiben Sie gesund. Bleiben Sie agil. Bleiben Sie einen Schritt voraus. Und bleiben Sie wachsam.

Ihr
Jan Schoenmakers


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