Was heißt “Haltung”? Big Data zeigt es!
Unternehmen sollen Haltung zeigen – die Forderung wird immer lauter. Doch was meinen die Menschen wirklich, wenn sie „Haltung“ verlangen? Unsere Big Data Studie legt es offen – und zeigt, was wirklich bewegt und für wen es zählt.
Seit Jahren befragen unsere Kooperationspartner von Markendienst für ihre Insights About Studien regelmäßig Konsumenten zu ihren Einstellungen zu – und Erwartungen an – Marken und Unternehmen. Dabei macht sich der Ruf nach „Haltung“ zunehmend bemerkbar. Besonders laut ist er in Corona-Zeiten: seit Ende März liegt das Interesse an Haltung in Deutschland um 11% über dem 8-Jahres-Langzeittrend, wie unser NEUTRUM KI TARGETER zeigt.
Um zu ermitteln, welche Erwartungen sich dahinter verbergen, haben wir mit unserem NEUTRUM THEMENNAVIGATOR einen anderen Zugang gewählt: statt Menschen zu etwas zu befragen, dessen sie sich womöglich gar nicht ganz bewusst sind, haben wir zwei Monate lang alle öffentlichen Äußerungen in Deutschland rund ums Thema Haltung untersucht – sowohl in journalistischen als auch in sozialen Medien. So haben wir ein unverzerrtes Bild erhalten, wie die Menschen wirklich sprechen (bzw. schreiben). Durch eine KI-gestützte Big Data Analyse der verwendeten Wortwahl ließen sich die entscheidenden Konzepte identifizieren, die die Deutschen mit „Haltung“ von Unternehmen verbinden.
Da wir authentische Kommunikation in der „freien Wildbahn“ untersucht haben, konnten wir jeweils erheben, welche Reaktionen solche Äußerungen hervorrufen: wie oft wird eine solche Äußerung „geliked“, geteilt oder verlinkt, wie intensiv wird sie diskutiert und wie emotional geht es dabei zu. Wir erkennen also nicht nur, wie wirklich gesprochen wird, sondern auch, was tatsächlich bewegt.
Zur Studie haben wir ein Whitepaper veröffentlicht, das Sie hier kostenfrei anfordern können. Die Ergebnisse haben wir zu 5 Kernthesen zusammengefasst:
1.Haltung muss man beweisen – in der Praxis
Erich Kästner brachte es auf den Punkt: „Es gibt nichts Gutes – außer, man tut es“. Während Statements zu Überzeugungen und Idealen zwar schnell die Runde machen, doch ebenso schnell wieder vergessen sind, bildet sich eine emotional tiefergehende Einstellung zur Haltung eines Unternehmens um die Eigenschaften „Rückgrat“ und „Glaubwürdigkeit“ sowie ihre Gegenpole „Opportunismus“ und „Heuchelei“. Wo es Unternehmen geglückt ist, mit „Haltung“ zu überzeugen, lag dies dementsprechend nicht an Tweets des CEO, sondern an handfesten Handlungen – von „Supermarkt erlaubt das Containern“ bis zu „Produktionsfirma ersetzt bei Heldenrolle weißen Mann durch schwarze Frau.“
2. Haltung fordert man von Jenen, die das Miteinander stark prägen
Beim Diskurs rund um Haltung gibt es einen Elefanten im Raum – und seinen kleinen Bruder. Der Elefant heißt „Tech“: die Plattform-Giganten aus den USA stehen wie keine andere Branche im Mittelpunkt, da Social Media einerseits zum politischen „Schlachtfeld“ Nummer eins mutiert sind, zum Anderen der Umgang von Facebook, Twitter, LinkedIn und Co. mit Populismus, Fake News, Hassrede und mehr seit Jahren nicht aus den Schlagzeilen rückt. Hier lastet der größte Erwartungsdruck, Rückgrat zu zeigen und Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. An zweiter Stelle – doch mit immer noch erheblichem Gewicht – folgt die Mobility-Branche, ob Automobil, Flugzeug oder Bahn. Nicht nur die zentrale Rolle einer Verkehrswende für den Klimawandel steht hier im Fokus, auch die Frage, wie soziale Teilhabe und ökologische Nachhaltigkeit miteinander verbunden werden können ist topaktuell. Dieselskandal, Kartellabsprachen und der Ruf einer besonders harten Lobbyarbeit haben fundamentale Zweifel an der Ehrlichkeit und Wandlungsfähigkeit der Branche gesät. Im Windschatten dieser beiden Industrien spielen selbst der Finanzsektor oder Food nur noch untergeordnete Rollen.
3. Haltung entscheidet sich an politischen und sozialen Fragen
Klar, es wird wohlwollend zur Kenntnis genommen, wenn ein Unternehmen mit Ökostrom produziert oder dem Waisenheim vor Ort spendet – doch was die Menschen mit „Haltung zeigen“ meinen, betrifft beinahe immer Fragen, die gerade in hohem Maße politisch und sozial relevant sind. „Wie steht Ihr zu Putin?“, „Was tut Ihr wirklich für Diversity?“, „Eure Bio-Premiummarke soll nur kaschieren, dass für Euer Standardsortiment Antibiotika-Ferkel ohne Betäubung kastriert werden“… Haltungs-Diskurse entspinnen sich an Themen, die eine ganze Gesellschaft stark beschäftigen. Das sind eben primär Sujets wie Rassismus, Emanzipation, soziale Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit – und zwar auf Ebene des Gesamtunternehmens, nicht im Rahmen lokaler CSR-Aktionen.
4. Journalisten erwarten Charakter, ihre Leser Moral
Angesichts dessen, dass wir aus journalistischen und aus sozialen Medien gleich viele Aussagen untersucht haben, konnten wir genau feststellen, wo sich die Agenda von Journalisten vom deutlich breiteren Spektrum der Social Media Nutzer unterscheidet. Journalisten neigen stark zum Personalisieren: sie legen Wert auf Charakter und Authentizität und konzentrieren sich damit gerne auf Vorstände und Politiker. Der „normale“ Bürger in sozialen Medien hingegen stellt Ehrlichkeit und Moral ganz vorne an. Die Erwartungshaltung an Unternehmen ist dabei klar – und Lernfähigkeit wird belohnt: der CEO, der vom Saulus zum Paulus wird, kann Anklang finden, wo er die Wahrheit nicht verschleiert und (nun) tatsächlich moralisch handelt.
5. Purpose-Washing greift um sich… und zu kurz
Nicht von Jedem, der sich äußert, lässt DSGVO-konform der Beruf ermitteln. In 165 Fällen jedoch ist uns dies gelungen – immerhin eine ausreichend große Stichprobe, um festzustellen: über Haltung sprechen primär jene, die sich selbst loben. So sind 44% der Beiträge, bei denen Berufe zugeordnet werden konnten, aus der Feder von PR- und Werbeprofis, Vorständen und Unternehmern. Selbst Journalisten folgen erst mit deutlichem Abstand. Das sollte zu denken geben: Erwarten die Menschen primär „Rückgrat“, „Glaubwürdigkeit“ und „Ehrlichkeit“, ist es wenig aussichtsreich, sich solche Eigenschaften selbst zuschreiben zu wollen. Solche Attribute muss man sich verdienen – indem man Handlungen im realen Geschäftsbetrieb an den Tag legt, die in sozial und politisch relevanten Kontexten tatsächlich einen Unterschied machen. Nicht, indem man über seinen „Purpose“, seine “Überzeugungen” und die „Werte“ des Unternehmens schwadroniert.