XR vs. FFF: das digitale Duell der Umweltretter
Klima- und Umweltschutz bestimmen die öffentliche Debatte. Schon lange hat keine soziale Bewegung in Deutschland mehr so viel Druck aufgebaut wie Fridays For Future (FFF). Doch seit einigen Monaten drängt immer stärker Extinction Rebellion (XR) ins Rampenlicht. Schaffen die Bewegungen gemeinsam mehr Dringlichkeit für den Klimaschutz, oder erleben wir zunehmend einen Wettstreit der Weltretter? Wir haben den Digitalen Fußabdruck von XR und FFF in Deutschland untersucht und wagen Diagnosen.
Die Analyse
Die vielen verschiedenen Spuren, die ein Jeder im Netz hinterlässt, ergeben zusammen einen “digitalen Fußabdruck”, der zeigt, wo, wie und mit welchem Erfolg ein Akteur (nicht nur) online unterwegs ist. Für die Analyse von Fridays For Future und Excinction Rebellion haben wir einerseits die Google-Suchen nach den Bewegungen untersucht. Andererseits haben wir analysiert, wie sich die Website-Besuche der offiziellen deutschen Webseiten entwickelt haben. Und schließlich haben wir erhoben, wie viel Resonanz FFF und XR in sozialen Medien erzielen. So können wir Größe und Dynamik der Bewegungen differenziert beleuchten.
Neugier geweckt? Suchen nach FFF vs. XR
Trotz der Aufregung um Großdemos und Verkehrsblockaden: bei den Suchanfragen liegt Fridays For Future weiterhin deutlich vorne; den Vorsprung, den Extinction Rebellion im September/Oktober kurzzeitig eingefahren hatte, konnte die Bewegung nicht halten. Doch ist das Interesse an XR seit dem Frühjahr messbar und stabil gestiegen, während abgesehen von einzelnen, hohen Spitzen das “Grundrauschen” zu FFF unter dem Niveau der ersten Jahreshälfte liegt.
Betrachten wir die regionale Verteilung, ist XR hauptsächlich ein Berliner Phänomen, während FFF deutlich breiter aufgestellt ist und neben Stadtstaaten wie Berlin, Hamburg und Bremen auch in Flächenländern wie Schleswig-Holstein und Niedersachsen auf erhöhtes Interesse stößt (siehe Grafik 2).
Doch übersetzen sich mehr Suchanfragen auch in mehr Websitebesuche?
Ohne Information keine Revolution: Websitebesuche der Bewegungen
Interessanter Weise bietet sich hier ein umgekehrtes Bild: Binnen weniger Monate hat XR hier die Führung übernommen kauft mit 36% mehr Besuchern FFF den Schneid ab. Auch bei der Nutzungsintensität der Seite – einem Indikator dafür, wie interessiert die Besucher wirklich sind – liegt XR weit vorne, fast doppelt so gute Ergebnissen für Besuchszeit und Anzahl besuchter Seiten sowie deutlich weniger abgebrochene Besuche sprechen für sich (siehe Grafik 3).
Sind für beide Seiten Google-Suchen und Direktaufrufe (also die bereits “Bekehrten”, die die URL schon kennen und in den Browser eingeben) die wichtigsten Quellen, hat XR bei Social Media – insbesondere auf Twitter und Facebook – klar die Nase vorn und erhält auch mehr Besuche durch Links von anderen Seiten. FFF hingegen führt beim E-Mail-Marketing (siehe Grafik 4).
In aller Munde? Viralität im Netz
Nun wissen viele Aktivisten aus leidvoller Erfahrung, dass aus reinem Interesse noch lange keine Bewegung wird. Erfolg bemisst sich darin, Menschen zum Handeln zu bewegen – und Handeln beginnt mit Fürsprache und Weitersagen. Wir haben deswegen betrachtet, wie viele Beiträge XR und FFF in Deutschland für sich verzeichnen können, die mehr als 10 Mal geliked, kommentiert, geteilt, zitiert oder verlinkt wurden.
Hier wendet sich das Bild erneut – und verblüffend deutlich: Fridays For Future konnte monatlich rund 1.200 Beiträge mit über 10 Engagements für sich verbuchen (Grafik 5). Diese mobilisierten insgesamt zu 573.700 Handlungen (wie Shares, Likes & Co.) – somit 478 pro Beitrag in dieser Spitzengruppe. XR hingegen muss sich mit lediglich 561 Beiträgen über 10 Engagements und 149.700 Interaktionen – also 267 pro Beitrag – klar geschlagen geben. Auch die Reichweite der Top-Beiträge von und zu FFF liegt bei dem Dreifachen derer zu XR.
Doch wo wird gesprochen und wer spricht? Der wichtigste soziale Kanal für beide Seiten ist Facebook. Zudem war für FFF auch YouTube ein wichtiger Treiber, während XR stärker über Instagram und Twitter mobilisierte.
Einig sind sich die Bewegungen in Sachen Gender (Grafik 6): So zählen beide Seiten rund 1/3 Frauen und 2/3 Männern zu ihren digitalen Fürsprechern. Ein wichtiger Unterschied liegt jedoch in der Altersverteilung. Während FFF besonders eine Bewegung der jüngeren Generation ist (18 bis 24), erfreut sich XR großer Beliebtheit bei den 35 bis 54 jährigen. Bei den 25 bis 34-jährigen sind Beide gleich gefragt.
Im Gespräch: Welche Themen bewegen die Menschen zu FFF vs. XR?
Na klar, es wird über das Klima, Demonstrationen, Gesetze, die EU, Zukunft und Wissenschaft gesprochen. Dennoch abseits dieser wenig überraschenden Gemeinsamkeiten fördert die Analyse der Begriffe, die im Zusammenhang mit FFF und XR am häufigsten fallen, spannende Unterschiede zutage (Grafik 7).
Erkenntnis 1: XR ist zu einer Marke an sich geworden – einer autarken, dezentralen & globalen Bewegung – während FFF beinahe synonym mit der Personenmarke Greta Thunberg ist… und damit auch mit Gretas Handlungen und Beliebtheit aufsteigt und fällt.
Erkenntnis 2: Während sich FFF größtenteils mit dem Klima beschäftigt, ist XR thematisch breiter gefächert, wird auch z.B. mit Menschenrechten und einer gerechten Gesellschaft verknüpft.
Erkenntnis 3: Wo im Zusammenhang mit FFF sehr häufig der Begriff Extinction Rebellion fällt, schlagen FFF oder Greta Thunberg im Zusammenhang mit XR nicht zu Buche. Ist FFF ein Sprungbrett für XR? Auf jeden Fall blicken XR-Unterstützer wenig auf das Greta-Lager, im Gegensatz zum umgekehrten Fall.
Fazit: Der Platzhirsch hat Konkurrenz bekommen – doch Einiges spricht für fruchtbare Koexistenz
Ohne Zweifel hat Fridays For Future auch in Deutschland die Bresche geschlagen für die aktuelle, hoch engagierte, anhaltende Klimadebatte. Nach wie vor ist die Bewegung hierzulande der Platzhirsch – sei es bei den Google-Suchen oder der Zahl und Energie derjenigen, die in ihrer Sache im Netz kommunizieren.
Doch zeichnet sich ab, dass Extinction Rebellion künftig eine größere Rolle spielen könnte: steigende Suchvolumina, deutlich mehr Websitebesuche und viele Klicks aus sozialen Medien zeigen ein hohes Interesse – eine Menge Menschen informieren sich derzeit über XR, gerade in der kulturell, medial und politisch trendsetzenden Hauptstadt. Dass die Bewegung dabei weniger abhängig ist von den Sympathien oder Antipathien einer schillernden Einzelperson und auf ein breiteres Themenspektrum setzt, kann sie auch für Menschen attraktiv machen, die sich mit FFF aus rein persönlichen oder stilistischen Gründen nicht anfreunden können und macht sie weniger anfällig gegen Gegenkampagnen.
Dass sich die beiden Bewegungen dabei aber gut ergänzen könnten, zeigt die Altersstruktur der Online-Unterstützer: wird FFF oft als “braver”, XR als “radikaler” charakterisiert, sind es entgegen gängiger Klischees die “braveren” Jüngeren im ganzen Land, die Greta die Treue halten, währnd die “radikaleren” Älteren in Metropolen den Straßenverkehr lahmlegen. Sowohl nach Themen als auch nach Alter sprechen damit FFF und XR unterschiedliche Gruppen an – vielleicht einst vereint unter einer gemeinsamen Flagge: Gesellschaft und Politik im Kampf gegen den Klimawandel aufrütteln.
Wir drücken beiden Bewegungen die grünen Daumen und hoffen auf viele weitere Suchen, Beiträge, Besucher, Engagements und mehr!