Gesundheit in der Stapelkrise: die Zunahme psychischer Krankheiten bedroht die Arbeitswelt
Am 26.12.2022 wurde in Deutschland nicht nur der 2. Weihnachtsfeiertag gefeiert, nein, an diesem Tag feierten viele Deutsche auch das (in)offizielle Ende der Pandemie – zumindest jene, die es mit Deutschlands wohl bekanntesten Virologen Christian Drosten halten. Dieser verkündete im “Tagesspiegel”, dass die Pandemie vorbei sei. Ein Grund zum Feiern? Ja. Alles wieder nun wie zuvor? Leider nein. Denn die starke Zunahme psychischer Erkrankungen, die die Pandemie befeuert hatte, setzt sich fort und droht insbesondere die Arbeitswelt in ernste Schieflage zu bringen.
Big Data und KI zeigen steigenden psychischen Leidensdruck
Bereits 2021 hatten wir mit den KI gestützten Big Data-Analysen unseres MARKTCHECKS gezeigt, wie sehr psychisches Leiden in der Pandemie zugenommen hat (um 22% bis zum 30.06.2021!) – und mit unserer ML Modellierungs-Engine nachgewiesen, dass Angst und Wut in den Medien daran noch mehr Anteil hatten als Lockdowns und Maskenpflicht. Basis der Studie waren über 12 Millionen Google-Suchanfragen, die Hilfesuchende zu Ärzten und Therapeuten führen, über 8 Millionen Medienbeiträge (analysiert mit der KI aus unserem THEMENNAVIGATOR) und eine feingliedrige Maßnahmendatenbank aus unserer großen Coronastudie.
Während inzwischen immer offener diskutiert wird über vertane Chancen, ignorierte Evidenz, soziale Verwerfungen und volkswirtschaftliche Schäden der Corona-Zeit, wird der Verfall der psychischen Gesundheit weiterhin unterschätzt – inklusive seiner Auswirkungen auf Beziehungen und die Arbeitswelt. Dass diese vermeintliche Nebenrolle immer mehr die Hauptrolle spielt, zeigen unsere neuesten Ergebnisse.
Das Aufstapeln der Krisen ist Gift für die seelische Gesundheit
Die neueste Aktualisierung unserer 2021er Studie zeigt, dass der psychische Leidensdruck nach einem dramatischen Corona-Anstieg keine Anstalten gemacht hat, gegen Ende der Pandemie zu sinken. Denn kaum flaute Corona ab, standen die nächste Krisen vor unserer Tür: Ukraine-, Inflations- und Energiekrise.
So ist die Zahl der Hilfesuchenden trotz Ausklang der Pandemie bis 31.12.2022 weiter stark gestiegen. Nach einer etwas langsameren Zunahme von Juli 2021 bis Februar 2022 wuchs er seit Beginn des Ukraine Krieges wieder ähnlich stark wie in Corona-Hochphasen. Der stabile, um saisonale und Zufallseffekte bereinigte Trend schoss somit in den letzten 4 Jahren um 52% in die Höhe.
Die Arbeitswelt trifft es besonders hart
Am stärksten bedroht dies die Arbeitswelt: suchten während der Lockdowns deutlich weniger Menschen Hilfe für arbeitsbezogene Leiden wie Burnout und Boreout, schnellten die Zahlen nach der Rückkehr ins Büro steil nach oben. Dabei stieg aber das Niveau nicht nur auf den Stand vor der Pandemie an, nein, mit jedem weiteren Tag zurück am Arbeitsplatz nahm der Leidensdruck offenbar weiter zu.
In den letzten 4 Jahren hat sich so die Zahl der Hilfesuchenden mehr als verdoppelt. Hände hoch, wem hier auch die Kinnlade heruntergefallen ist! Obwohl Leistungsängste zurückgingen, wurde der Trend vor allem durch die wachsende Anzahl an Burnouts, der Unzufriedenheit mit der eigenen Arbeit, sowie der Angst vor Arbeit selbst befeuert.
Spätestens seit Corona wissen wir also, dass sich das Verhältnis der von der Leistungsgesellschaft geprägten Deutschen zu ihrer Arbeit fundamental geändert hat. Kein Wunder also, dass junge Menschen mehr und mehr dem traditionellen Bild der Arbeit den Rücken zukehren. Der Druck auf die Arbeitgeber wird weiterhin wachsen und Arbeitsausfälle bedingt durch psychische Krankheiten werden mehr und mehr zunehmen, so unsere Prognose.
New Work – also neue Arbeitsweisen und Work-Life Konzepte (und bitte echte Konzepte, wir reden hier nicht von Work-Life-Balance-Washing, mit denen viele Unternehmen werben) – darf also nicht mehr auf sich warten lassen, wenn sich Fachkräftemangel und Ausfallzeiten nicht noch dramatischer verschärfen sollen.
Unsere Beziehungen sind nachhaltig gestört
Nicht nur im Beruf, auch im Privatleben setzt sich der Anstieg psychischer Krankheiten fort. Zwar hat sich das Wachstum von Beziehungsstörungen verlangsamt, seit wir wieder unter Leute kommen, doch von einer Erleichterung kann leider nicht die Rede sein.
Statt einem Absinken auf vorpandemisches Niveau, nimmt der Leidensdruck weiter zu. Befeuerten Lockdowns vor allem toxische Beziehungen mit emotionalem und körperlichen Missbrauch, gedeihen nun Co-Abhängigkeiten besonders. Insgesamt ist über die letzten 4 Jahre ist ein Trendwachstum von 80% zu beobachten.
Ängste der Corona-Zeit begleiten uns weiter
Sind Angststörungen zur Hochphase der Pandemie noch am stärksten gestiegen (nach absoluten Zahlen), scheinen diese nun zu stagnieren: In den letzten 12 Monaten lag der Zuwachs an Hilfesuchenden wegen Phobien nur noch bei 1,7% (Gesamtanstieg über die letzten 4 Jahre: 46%).
Wir wären nicht HASE & IGEL, wenn wir dabei nicht einen genaueren Blick auf die Daten werfen würden – und somit ein differenzierteres Bild gewinnen: Zwar sind, wie zu erwarten, mit Ende von Lockdowns und Impfpflicht-Debatten die Ängste vor Spritzen sowie Platzangst deutlich zurückgegangen, doch haben andere zu Corona entfesselte Ängste weiter zugenommen. Dazu gehören zum Beispiel die Angst vor dem Alleinsein, vor Verkehrsmitteln und vor Krankheit.
Das Körperbild wird besser, wenn Menschen sich wieder begegnen
Menschen begegnen sich wieder – und das ist auch gut so! Intrapersonelle Störungen (dazu gehören depressive Symptomatik, Ruhelosigkeit und ein gestörtes Selbstbild) sind der einzige Bereich, in dem die Zahl der Hilfesuchenden mit dem Ende der harten Covid-Restriktionen gesunken ist.
Dieser Rückgang liegt vor allem an einer Verbesserung des Körperbildes: Sobald Menschen wieder mehr echten Menschen begegneten, statt nur deren geschönte Bilder in TV und Social Media zu sehen, verringerte sich ihre Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper deutlich.
Predictive Analytics zeigt uns Probleme früh – doch dann müssen wir auch handeln!
Psychische Leiden sind nicht nur persönlich ein schlimmes Schicksal, sondern auch volkswirtschaftlich eine der größten Schadensursachen. 2021 prognostizierten wir durch den gemessenen Anstieg an psychischem Leidensdruck volkswirtschaftliche Schäden von 30 Milliarden Euro pro Jahr.
Seitdem passierte: praktisch nichts. Inzwischen haben psychische Störungen weiterhin so zugenommen, dass wir die Prognose auf 50 Milliarden Euro jährlich erhöhen müssen – zumal es zu Aufschaukelung kommt, da Arbeitsausfälle die Funktionsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft einschränken und die Behandlungskosten mit dem demographischen Wandel zeitlich zunehmend zusammenfallen.
Um hier entgegenzuwirken, müssen Staat und Medien nun endlich handeln. Weiterhin befindet sich unser Gesundheitssystem in einem desolaten Zustand (insbesondere in der Psychotherapie und Psychiatrie), neue Aufklärungs- und Präventionsinitiativen sind bisher nicht zu sehen und auch die Medien heizen durch tägliches Weltuntergangs-Clickbaiting die Spirale weiter an.
Das erscheint uns wie das Kaninchen 4.0: die Schlange wird dank KI bereits Kilometer zuvor sichtbar, doch statt Haken zu schlagen starrt das Nagetier nur darauf und wartet, bis es gefressen wird. Machine Learning und Big Data ermöglichen uns, Handlungsbedarf und Handlungsoptionen zu erkennen – doch nur wenn wir handeln, können wir gewinnen.
Denn trotz all dieser besorgniserregenden Befunde haben wir es immer noch in der eigenen Hand, wie wir in Zukunft arbeiten und leben wollen. Um es mit den Worten von Höhner auszudrücken: “Wenn nicht jetzt, wann dann?”
Übrigens: Wie du mit wenigen Klicks Trends in deinem Markt aufdecken und vorhersagen kannst, entdeckst Du mit unserem MARKTCHECK – hole dir gleich deinen Demo-Zugang und erhalte 10 Credits sowie umfassende Nachfragedaten in 35 Konsumbranchen geschenkt!